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Grußwort zur Jahrestagung der Reserve der Bw

In seiner Funktion als Vorsitzender des Beirat Resvervistenarbeit beim VdRBw hier das Grußwort unseres Präsidenten anlässlich der Tagung vom 21/22.10.2022


Sehr geehrter Herr General Laubenthal,
Sehr geehrter Herr Präsident,

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

ich habe im letzten Jahr die Forderung nach Klarheit und Wahrheit in vielfältiger Hinsicht in den Mittelpunkt meines Grußworts gestellt.

In der Zwischenzeit hat Herr Putin dafür gesorgt, dass vieles klar geworden ist und dass man sich der Realität stellen musste und gestellt hat.

Im Hinblick auf die Reserve ist es ein Erfolg, dass mit der Grundbeorderung (GBO) wieder eine Basis für eine echte Reserve geschaffen wird. Dies geht deutlich über den seit Jahren praktizierten Einsatz von Reservisten zum Stopfen struktureller Löcher im Grundbetrieb und im Einsatz hinaus. Der Notwendigkeit einer starken und einsatzbereiten Reserve für den Bedarf der Landes- und Bündnisverteidigung wird damit langfristig und kalkulierbar Rechnung getragen.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir mit der Umsetzung der GBO und der Schaffung der notwendigen Strukturen in der territorialen Reserve, sowie einem vernünftigen und gezielten Einsatz der Personalreserve, die mehr als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Langdienende RDL ist, noch nicht alle Bauplätze vermessen haben. Ich denke, bei allem, was wir im Hinblick auf Reserve tun, muss die Erhöhung der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte insgesamt immer im Mittelpunkt stehen.

Es ist aus Bewertung des Beirats Reservistenarbeit, und auch aus meiner persönlichen Sicht, bereits abzusehen, dass, vor allem aufgrund der Freiwilligkeit der RDL im Zuge der GBO, für die aufzustellenden Reservetruppenteile die notwendige Ausbildungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft voraussichtlich nicht zu erreichen sein wird. Hinzu kommen Herausforderungen wie der Fachkräftemangel u.ä., die in einer im Falle der Bündnisverteidigung nicht bzw. nicht vollständig auf Kriegswirtschaft umstellbaren Ökonomie zumindest teilweise weiter bestehen werden. Auch der heute weitgehend personell bereits auf Rand genähte öffentliche Dienst wird weiter funktionieren müssen. Das bedeutet, dass auch bei verpflichtender RDL im Rahmen der Bündnisverteidigung in vielen Reservetruppenteilen Lücken bestehen werden, weil schon jetzt so angelegt.

Es wird – egal in welcher zeitlichen Perspektive – deshalb ein Backup oder Pool von einsatzwilligen und verfügbaren Unbeorderten, die mit einem guten Mindestausbildungsstand rasch in Reservetruppenteile integriert oder ggf. als zusätzliche Spezialisten verwendet werden können, vorzuhalten sein. Hierzu gibt es gute Beispiele aus der Vergangenheit, in der z.B. identifizierte Mangel-ATN doppelt besetzt wurden; Stichwort Wehrleitersatzbataillone.

Es stellt sich die Frage, ob wir, vor dem Hintergrund dieser Überlegungen, in allen Bereichen richtig aufgestellt sind.

Im Hinblick auf die Beorderten in aktiven und Reservestrukturen hat der Beirat keine Kompetenzen. Er hat aber für die Reservistenarbeit der und mit den Unbeorderten Beiträge zu leisten.

Die Beiratsverbände und -vereinigungen können und werden die Reservistenarbeit für und mit Unbeorderten durch Beiträge zur Sicherheits- und Verteidigungspolitischen Aus- und Weiterbildung unterstützen, so wie das die Beiratsverbände mit ihren teilweise völlig unterschiedlichen Strukturen und Vereinszwecken leisten können. Eines ist jedoch klar: Die Beiratsverbände können militärische Ausbildung oder Beiträge dazu nur sehr begrenzt leisten. Das heißt jedoch nicht, dass das Wirken von z.B. verbandsintern organisierten und verbandsintern finanzierten Schießsportgruppen, für die eigentliche militärische Ausbildung Unbeorderter nicht von Nutzen wäre.

Der Beiratsverband, der mit der Ausbildung und Betreuung aller unbeorderten Reservistinnen und Reservisten vom BMVg besonders beauftragt ist und dessen Weisungen unterliegt, ist bekanntermaßen der VdRBw. Er organisiert – als Verein – auch vielfältige, nicht hoheitliche militärische Ausbildung.

Die bestehenden Strukturen und Aufgaben des VdRBw wurden aber im Kalten Krieg, zu Zeiten geburtenstarker Jahrgänge und unter den Bedingungen einer Wehrpflichtarmee geschaffen und weiterentwickelt.

Es stellt sich die Frage, ob wir

– mit der geostrategischen Mittellage Deutschlands, 
– mit der Struktur einer Freiwilligenarmee, aus der wesentlich weniger Reservistinnen und Reservisten hervorgehen,
– mit den wachsenden Herausforderungen in der Rekrutierung ausreichend qualifizierten aktiven militärischen Personals und damit künftiger Reservisten,
– mit fortschreitendem Alter vieler noch aus der Wehrpflichtarmee stammenden Reservisten,
– unter den Bedingungen des demographischen Wandels,
– mit gestiegenen Anforderungen und Ansprüchen an Betreuung und Ausbildung sowie
– mit der zunehmenden Komplexität der Waffensysteme und den Bedingungen der Digitalisierung
nicht – vielleicht schon lange – eine wesentliche Lageänderung haben, die eine neue BdL und einen neuen Entschluss im Hinblick auf das Personalmanagement und die gezielte Ausbildung Unbeorderter, die sich einbringen wollen, erfordern.

Der Beirat Reservistenarbeit beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja!

Einige Leitfragen, die im Rahmen dieser notwendigen BdL, der Entwicklung von Möglichkeiten des Handelns und für einen möglichen Entschluss gestellt werden müssen, sind aus Sicht des Beirats Reservistenarbeit:

– Ist der VdRBw, als vom BMVg besonders Beauftragter für Betreuung und Ausbildung von Unbeorderten, in seiner jetzigen Vereinsstruktur – mit hauptamtlichem Anteil – noch dem Auftrag gerecht werdend und vor allem zukunftsfähig aufgestellt?
– Kann die Teilhabe an der Ausbildung der Allgemeinen Reserve, vor allem der Unbeorderten, die an einer strukturierten und gezielten Ausbildung für mögliche Verwendungen innerhalb bestehender Reservestrukturen interessiert und verfügbar sind, von einer Vereinsstruktur geleistet werden?
– Kann die Betreuung der genannten ausbildungs- und einsatzwilligen unbeorderten Reservistinnen und Reservisten im Hinblick auf deren Personalführung sowie Aus- und Weiterbildung aus bestehenden aktiven Strukturen oder Vereinsstrukturen heraus geleistet werden?
– Müssen, vor dem Hintergrund der gedeckelten Personalstärke der Streitkräfte, ggf. neue Wege, z.B. die Schaffung einer Inhouse-Gesellschaft, gegangen werden?
– Welche Forderungen an die Qualität der Ausbildung williger Unbeorderter wären „über IGF hinaus“ zu stellen?
– Wer kann diese notwendige Qualität und Stringenz ggf. außerhalb der personell auf Rand genähten Streitkräftestrukturen sicherstellen?
– Wie kann sichergestellt werden, dass die beruflichen Entwicklungen der willigen Unbeorderten berücksichtigt, genutzt und auch im Sinne einer Attraktivitätssteigerung des Reservedienstes gefördert werden können?
– Welchen Beitrag kann der VdRBw zu den genannten Aspekten leisten? In welcher Organisationsform?
– Welche Beiträge sind von den Beiratsverbänden zu leisten und wie sowie durch wen sind sie bei der Umsetzung zu unterstützen?
– Sind die Reservistinnen und Reservisten, die sich als Unbeorderte nicht explizit zur RDL in einem Backup bzw. Pool bereit erklären, nach der GBO noch als Reservisten anzusehen, unabhängig vom Lebensalter? Nach der geltenden gesetzlichen Regelung ja.
– Wie wird die Betreuung der Personen, die nicht als Unbeorderte in einem Backup oder Pool zusammengefasst sind, oder aus Altersgründen nicht mehr dafür in Frage kommen, geregelt? Wer kann, wer soll diese Betreuung leisten? Welchen Umfang soll bzw. muss sie haben, damit diese Kameradinnen und Kameraden der Bundeswehr als positive Multiplikatoren erhalten bleiben?

Es stellen sich sicher auch noch weitere Fragen, z.B. ob es an der Zeit wäre, dass der VdRBw mit den bestehenden und künftigen territorialen und Reservestrukturen Couleurverhältnisse aufbaut, in deren Rahmen, die mögliche Ausbildungsunterstützung der genannten Strukturelemente durch den VdRBw abgestimmt und systematisiert wird.

Eine entscheidende Frage ist, ob die politische Führung und die Führung der Streitkräfte überhaupt die Notwendigkeit eines Backups bzw. Pools aus unbeorderten Reservistinnen und Reservisten, neben den innerhalb von Strukturen Beorderten, sehen.

Sollte dies nicht der Fall sein, kann man alle Fragen bzw. angestellten Überlegungen ad acta legen. Ggf. bis auf eine: Ist das Leben nach der GBO dann nur noch das eines Veteranen bzw. einer Veteranin? Und wer kümmert sich dann um die Veteranenarbeit?

Eines ist aus der Sicht den Beirats Reservistenarbeit aber dringend geboten: Wenn man sich den genannten Fragen stellen möchte, muss man jetzt damit anfangen. Spätestens in vier Jahren bevor die ersten grundbeorderten Reservisten aus der GBO ausscheiden, müssen die angesprochenen Dinge klar sein.

Aus vier Gründen:

– Erstens, damit man die aus der GBO Ausscheidenden, die sich weiter einbringen wollen, nach 2025/2026 nicht verliert,
– zweitens, damit ggf. notwendige rechtliche und organisatorische Regelungen zeitgerecht erfolgen können,
– drittens, damit man die im Hinblick auf eine einsatzbereite Reserve erforderlichen Ziele längstens bis 2032 tatsächlich erreicht, nicht weniger, aber auch nicht mehr, und
– viertens, damit man diejenigen, die Reservedienst nicht mehr leisten können oder wollen, weiterhin an den Streitkräften interessiert halten und als positive Multiplikatoren behalten kann.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


Quellenangabe:
Text: Franz Pfrengle, BG a.D., Präsident BDPi e.V.