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Die US-Pioniertruppe (The U.S. Corps of Engineers) im II. Weltkrieg

ein Beitrag von Herrn Oberst d.R. Bertram Steinbacher

In allen Streitkräften sind Pioniere zur Unterstützung der Kampftruppen unverzichtbar. In diesem Beitrag soll in erster Linie die Bedeutung der US-Pioniertruppe auf dem europäischen Kriegsschauplatz im II. Weltkrieg dargestellt werden. Erwähnt werden müssen jedoch in diesem Zusammenhang die Operationen der US-Streitkräfte und somit ihrer Pioniere im Iran und im heutigen Myanmar sowie im pazifischen Raum, wobei gigantische Leistungen erbracht wurden: Straßenbau im Hochgebirge, Bau von Flugplätzen und Seehäfen, Eisenbahnlinien usw. Dies insbesondere vor dem Hintergrund der japanischen Expansion.

Ausgangslage

Bis zum Beginn sowie im Verlauf des II. Weltkriegs waren befestigte Linien (z.B. Maginot-Linie, Westwall, Atlantikwall) tief gestaffelt, mit hohem bautechnischem Aufwand errichtet worden.
Im Verlauf der Kampfhandlungen zeigte sich, dass diese Befestigungen in einem beweglich geführten Gefecht nicht die beabsichtigte Sperrwirkung erzielen konnten. Die US-Streitkräfte haben daher sowohl ihre Struktur angepasst als auch die Entwicklung und Beschaffung gerade von Großgerät forciert.

Struktur und Aufwuchs

Die US-Army wurde nach Ausbruch des II. Weltkriegs kontinuierlich vergrößert, insbesondere nach dem Angriff der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und nach der Kriegserklärung der Achsenmächte (Deutsches Reich und Italien) an die USA am 11. Dezember 1941.
Das Army Corps of Engineers (ACE) war zu Beginn des Krieges noch dem Generalstab unterstellt, doch im März 1942 erfolgte eine grundlegende Umorganisation mit der Einrichtung von drei Kommandos: Army Air Forces, Army Ground Forces und Services of Supply (1943 Army Service Forces, ASF). Von der Kampftruppe wurde die amerikanische Pioniertruppe zu einem technischen Dienst.
Diese Umstrukturierung bestätigte die enorme Bedeutung der Logistik bei der Kriegsführung und die entscheidende Rolle, die der Pioniertruppe zugewiesen wurde. Keine andere Pioniertruppe weltweit mobilisierte mehr Personal bzw. Material. Kontinuität blieb in der Führung: Das ACE führte seine Umstrukturierung zwischen 1942 und 1945 unter Generalleutnant Brehon Somervell durch. Der Anteil des ACE innerhalb der Army zeigt seine wachsende Bedeutung im Verlauf des Krieges.
Dies lag auch daran, dass dem ACE bedeutende infrastrukturelle Aufgaben (Bauingenieurwesen) zugewiesen wurden. So lagen z.B. Planung und Bau des Alaska-Highways sowie des Pentagons während des Krieges in der Federführung des ACE. Dieser Schwerpunkt ist auch im Emblem des ACE verdeutlicht:

The Traditional Castle logo of the United States Army Corps of Engineers



Die Grafik links veranschaulicht den Aufwuchs der Pionierkräfte in den US-Streitkräften zwischen Januar 1942 und Mai 1945

(Quelle: Oberst d.R. Steinbacher)

Umfang und Fähigkeiten des ACE nach der Umstrukturierung verdeutlichen einmal mehr die immensen Ressourcen der US-Streitkräfte. Im Einzelnen:


Minenkampf

Die deutsche Wehrmacht war zu Beginn des Krieges gegenüber den alliierten Truppen in der Entwicklung und im Einsatz von Minen (Panzerabwehr- und Schützenabwehrminen, Magnet- oder Haftminen für Seeziele) den alliierten Streitkräften überlegen. Diesen Vorsprung galt es aufzuholen.
Eine besondere Herausforderung bestand darin, die deutschen Minen detektieren zu können und gleichzeitig die Industrie zu einer hohen Produktion von Minen aus Eigenentwicklung zu befähigen. Außerdem wurde mit Hochdruck daran gearbeitet verlegte Minen zu neutralisieren, besonders durch Minenräumpanzer mit rotierenden Schlegeln (vgl. MiRPz KEILER), bzw. mit schwerem Vorbaurollengerät.

Abb 1. Minensuchgeräte
Abb 2. Pz mit Vorbaurollengerät

Gewässerübergänge

Im beweglich geführten Gefecht sind Übergänge über Gewässer mit unterschiedlicher Breite und Strömungs-geschwindigkeit ein Dauerauftrag an die Pioniertruppe. Das ACE hat mit Kriegseintritt konsequent die Entwicklung, Produktion und Einführung von Übergangsmitteln für unterschiedlichste Einsätze vorangetrieben und ständig angepasst. Im Folgenden dazu wesentliche Entwicklungen:
– Ab Ende 1940: Infanteriebrücke M3 auf pneumatischen Schwimmkörpern. Zwar leicht, aber ungeeignet bei Stromgeschwindigkeiten von mehr als 1,50 m/s.
– Folgesystem: Treadway-Brücke M2 mit einem vorne angehobenen, aufblasbaren Schwimmkörper. Hohe Tragfähigkeit, schnell und einfach zu bauen. Daher bereits 1943 Bestandteil der Standardausrüstung amerikanischer und alliierter Panzerdivisionen und sogar von Infanteriedivisionen.
Die Treadway bestand aus einem zweispurigen Stahlrahmen (je eine Tonne), der mit einer Bodenplatte auf zwei Schwimmkörpern verlegt war. Sie wurde mit einem Transport-LKW, der mit einem hydraulischen Verleger ausgestattet war, verlegt oder aufgenommen, dem Brockway. Mit 12 Brockways einer Brückeneinheit war es möglich, eine 85 Meter lange Brücke MLC 50 zu bauen. (vgl. die Schlauchbootbrücke der Bw, eingeführt als dt. Eigenentwicklung ab 1960)

Abb 3. Treadway
Abb 4. Bailey-Bridge





Besondere Bedeutung hatte die 1941 vom britischen Ingenieur Donald Bailey (Chefentwickler für experimentellen Brückenbau) konzipierte und nach ihm benannte Bailey-Bridge. Diese galt damals als die beste vorgefertigte, verlege- und aufnahmefähige Systembrücke. Sie wurde während des Krieges und auch noch lange danach eingesetzt. Das System war sehr flexibel einsetzbar, besonders zum Ersatz oder zur Ergänzung von zerstörten festen Brücken.

Erwähnt werden muss zudem die Entwicklung von Spezialbooten zur Unterstützung der Brückenschläge: Schlauchboote für 3 – 6 Mann, Sturmboote mit Außenbordmotor 50 PS Evinrude sowie M2-Infanteriefähren aus Sperrholz mit Johnson-Antrieb.

Abb. 5 Sturmboote
Abb. 6 Brückentransporter und
Schützenschnellsteg

Ausstattung ziviles Bauwesen

Schon vor Beginn des Kriegs gab es seitens der US-Industrie eine breite Palette von Gerät für das zivile Bauwesen, das entwickelt und erprobt worden war und weltweit oft ein Alleinstellungsmerkmal hatte. Beim ACE wurde Hochleistungsgerät eingeführt: Mechanische Bagger, Kranwagen und Kräne, Planierraupen (z.B. Bulldozer), mechanische Grabenfräsen, Scraper (Erdabtragungsmaschinen), Grader und Planiergeräte (gezogen oder selbstfahrend), Kipper, Zugmaschinen, rollende Kompressoren usw.
Dieser umfassende Maschinen- und Fuhrpark ermöglichte die Durchführung von komplexen und umfangreichen Arbeiten in einem kurzen Zeitrahmen. Daneben werden Kompressoren immer häufiger für eine Vielzahl von Aufgaben eingesetzt: Aufblasen von Schlauchbooten, Versorgen von Pressluftwerkzeugen (z.B. Presslufthämmer).

Abb. 7 Schneidbrenner und Heckenreihenaufreißer
Abb. 8 Steinbruch

Flugplätze

Die amerikanische Pioniertruppe war in der Lage, weltweit in sehr kurzer Zeit Flugplätze zu bauen, zu reparieren oder zu erweitern. Aufgrund der sowohl quantitativ als auch qualitativ vorhandenen Maschinen und Geräte war es möglich, diese Arbeiten oft in nur wenigen Wochen abzuschließen.
Zum Einsatz kamen u.a. auch ausrollbare Geotexfolie und Metallplatten für die Start- und Landebahnen.

Das ACE hatte nach der Invasion in der Normandie Anfang Juni 1944 zusammen mit britischen Kameraden innerhalb weniger Tage Dutzende von Feldflugplätzen errichtet, was die Wehrmacht nicht für möglich hielt.

Abb. 9 Einrichten von Feldflugplätzen

Wiederaufbau und Reparatur von Verkehrsinfrastruktur und Häfen in Frankreich

Bis auf wenige kleinere Gebiete war gegen Ende 1944 die Rückeroberung Frankreichs durch die Alliierten abgeschlossen. Durch Kampfhandlungen bzw. durch systematische Zerstörungen waren fast auf dem gesamten Territorium unzählige Ruinen zu verzeichnen. Hinzu kamen ca. 10 Millionen Land- und Seeminen, ca. 17 Millionen Granaten und Hunderttausende Flugzeugbomben.
Häfen waren durch planmäßige Zerstörung durch die Wehrmacht bzw. durch alliierte Luftangriffe häufig unbenutzbar. Das gesamte Straßennetz war in miserablem Zustand. Hunderte Bauwerke von hohem künstlerischem Wert waren entweder vernichtet oder sehr schwer beschädigt.
Auch das Eisenbahnnetz war stark betroffen, sowohl durch Sabotage von Eisenbahnern und der Résistance als auch durch Luftangriffe und die Wehrmacht. Die meisten Rangierbahnhöfe und Hunderte von Brücken und Tunneln waren zerstört. Die Eisenbahnlinien waren fast zur Hälfte zerstört oder schwer beschädigt. Von 17.000 Lokomotiven waren 11.000 zerstört oder unbrauchbar.

Abb. 10 Entladen von Eisenbahnmaterial

Gerade auf dem Gebiet der Wiederherstellung von Infrastruktur zeichnete sich das ACE aus. Ein Beispiel der Leistungsfähigkeit: Bereits am 11. Juli 1944, also knapp fünf Wochen nach dem D-Day, konnte der erste Zug zwischen Cherbourg und Carentan in der Normandie verkehren.
Als Teilersatz für zerstörtes bzw. unbrauchbar gemachtes Material kamen 1.953 Lokomotiven und 2.924 Güterwaggons aus den USA. 3.000 Mann und erhebliches Material wurden für die Instandsetzung von Eisenbahnlinien, Straßen und wichtigen Bauwerken eingesetzt, damit vorbereitende und begleitende Arbeiten zum Vormarsch der Alliierten nach Belgien, den Niederlanden und Deutschland sichergestellt werden konnten.
Die amerikanische Pioniertruppe war auch damit befasst, zerstörte bzw. gelähmte Häfen kurzfristig wieder nutzbar zu machen, da die bekannten künstlichen Häfen vor der Küste zum Nachschub von Mensch und Material nicht ausreichten. Dazu ein Beispiel: In drei Monaten haben amerikanische und britische Pioniere in Cherbourg 67 Schiffe und Boote gehoben, geräumt und einen gewaltigen Trümmerhaufen beseitigt, von der Wehrmacht häufig vermint bzw. mit anderen Sprengmitteln verstärkt.
Le Havre stellte eine noch größere Herausforderung dar: Nach der Kapitulation der deutschen Garnison am 12. September 1944 blockierten 175 Wracks und Hindernisse das Hafenbecken; die Kais waren gesprengt, Kräne und Eisenbahnmaterial waren unbrauchbar gemacht worden.
Die Zeit der Wiedernutzbarkeit des Hafens mit der angebundenen Infrastruktur ins Landesinnere dauerte daher noch länger als in Cherbourg. Das Schaffen der Voraussetzung zur Wiederinbetriebnahme weiterer verwüsteter Häfen wie Dieppe, Boulogne und Ostende war die sich anschließende Aufgabe des ACE. Dies gelang in erstaunlich kurzer Zeit.

Abb.11 Versorgung mit Betriebsstoffen

Schlussbemerkung

Die Pioniertruppe der USA trug zum Gesamterfolg der amerikanischen Streitkräfte in besonderem Maß bei.
Dabei waren nicht nur die Quantität und die Vielfalt von z.T. innovativen Pioniermaschinen und -geräten entscheidend, sondern auch die Priorisierung der Aufgaben und die daran angepasste Struktur. Während die Wehrmacht, aber auch die japanischen Streitkräfte ihre Pioniere in erster Linie zur unmittelbaren Kampfunterstützung einsetzten, haben die US-Streitkräfte darüber hinaus das ACE mit immensen infrastrukturellen Aufgaben betraut.
Die auf Hochtouren laufende amerikanische Industrie lieferte die dazu notwendigen technischen Mittel, sowohl in der Kampfunterstützung an der Front als auch in der Verbindungszone sowie im gesamten rückeroberten Raum.

Text: Oberst d.R. Bertram Steinbacher

Quellenangaben:
– Bernard Crochet in: Magazin Batailles numéro 28, juin-juillet 2008
– USACE Historical vignette; #67(04/2003) – #86 (05/2004) – #133 (06/2019) – #135 (03/2020)
– U.S. Army Corps of Engineers Headquarters Website
– John D. Millet: The Organization and Role of the Army Service Forces, Center of Military History United States Army, Washington DC., 1987

Bildnachweis
– The War against Germany (Europe and adjacent Areas), Center of Military History, United States Army, Washington DC., 1989