Als Advisor beim 217th ANA Corps
Von Januar bis Juli 2020 war ich als Military Engineer Advisor (MilEngAdv) im 17. und 18. Kontingent „Resolute Support“ beim 217th Afghan National Army (ANA) Korps in Kunduz eingesetzt. Im Zuge unseres Kontingentswechsels wurde der Schwerpunkt der Beratung vom operativen Geschäft auf die sogenannte Institutional Viability, sinngemäß übersetzt mit institutionelle Zuverlässigkeit, verschoben. Aus diesem Grund musste ich mich bereits kurz nach der Aufnahme der Arbeit ebenfalls in den Bereich afghanische Infrastruktur einarbeiten, da in Kunduz hierfür kein Berater vorhanden war. Das gesamte Team bestand aus 14 Beratern und deckte in der Grundstruktur die Bereiche G2-G4, Chef des Stabes, Kommandeur, Military Engineering, Sanität und Joint Fires ab. Wegen eben angesprochener Schwerpunktverschiebung mussten jedoch die meisten Berater weitere Funktionen, wie z.B. G1, übernehmen.
Lebensbedingungen im Safe Haven in Camp Pamir
Neben meinem Berater-Team waren im Safe Haven eine Kompanie Force-Protection-Kräfte des Jägerbataillons 91, armenischer Infanterie, sanitätsdienstliche Versorgung in Form einer Damage Control Surgeon Unit (DSCU) sowie Feldlagerbetrieb und weitere Unterstützungskräfte untergebracht. Die US-Streitkräfte waren mit einem Forward Arming and Refueling Point (FARP) und bis Mitte April mit einem Berater Team für die ANA Brigaden vor Ort.
Ursprünglich war der Standort Kunduz nur als kurzfristige Einrichtung geplant, daher waren die Lebensbedingungen rudimentärer als im Feldlager in MeS. Die Verpflegung bestand aus Gruppen EPA, die von einem Feldküchentrupp des Jägerbataillon 91 zubereitet wurde und als Betreuungseinrichtung stand lediglich ein Kraftraum zur Verfügung. Die einfachen Lebensbedingungen schweißten jedoch alle Einheiten im Safe Haven zu einer Einheit zusammen und erzeugten ein tolles Wir-Gefühl.
Die Bedrohungslage war zu Beginn des Kontingents sehr angespannt. Unsere Vorgänger standen mehrere Male unter Raketenbeschuss und unsere Feuertaufe ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten. Bereits kurz nach unserer Ankunft in Kunduz wurde das Camp erstmals mit Mörsern beschossen. Diese Art von Angriffen stellt eine neue Qualität dar, da die Vorwarnzeit von wenigen Sekunden, bedingt durch die Flugzeit der Raketen, nahezu Null war. Bei weiteren Angriffen wurde auch der Safe Haven und Gebäude der US Kräfte mehrmals getroffen. Glücklicherweise kam es dabei zu keinen Verlusten. Nach dem Friedensabkommen zwischen der USA und der Taliban-Führung in Doha entspannte sich die Lage zusehends und wir mussten keinerlei weitere Angriffe über uns ergehen lassen. Leider fehlte es bis zuletzt an Möglichkeiten, Steilfeuer der Taliban effektiv zu bekämpfen bzw. auf Steilfeuer antworten zu können.
Die Arbeit als Advisor (Berater)
Die besondere Lage des Safe Haven in Kunduz führte zu einer sehr engen persönlichen Bindung an die afghanischen Kameraden. Man erschien nicht nur zum Advising, sondern lebte mit der ANA im selben Camp und war auch persönlich stets schnell erreichbar und verfügbar.
Dadurch waren wir in der Lage, schnell eine gute persönliche Bindung zu unseren afghanischen Counterparts aufzubauen. Diese persönliche Beziehung war insbesondere nach der Verschärfung der Lage durch die Corona Krise von Vorteil. Nachdem persönliche Kontakte zu den Afghanen aufgrund der Pandemie untersagt wurden, musste das Advising auf Telefon und Videotelefonie umgestellt werden. Advisor, die vorher eine intensive persönliche Beziehung mit ihren Counterparts aufgebaut hatten, profitierten in dieser Situation davon, da die Bereitschaft, sich auf Advising über Telefonie und Videos einzulassen, wesentlich größer war.
Unabhängig von der Pandemie ist die Arbeit mit den Afghanen eine kulturelle Umstellung gewesen. Klare Worte oder Befehle findet man in afghanischen Besprechungen selten, da Ehre und die Wichtigkeit das eigene Gesicht zu wahren kulturell von großer Bedeutung sind. Dies erschwerte aus meiner Sicht viele Vorgänge und verzögerte die Arbeit an vielen Stellen, da es für einen afghanischen Offizier bereits ein Gesichtsverlust ist, einen anderen Offizier in einer gleichen Dienststellung anzurufen, um organisatorische Vorgänge abzustimmen.
Eine solche Abstimmung muss immer über eine übergeordnete Ebene, im Fall des Korps über das Verteidigungsministerium, laufen. Nichtsdestotrotz haben die meisten unserer Counterparts bereits seit mehreren Jahren mit deutschen Advisorn gearbeitet und sind zu einem gewissen Grad an den deutschen Umgangston gewohnt. So gab es Situationen, in denen ich ein ehrliches Wort mit meinem afghanischen Counterpart sprechen und ehrliches Feedback geben konnte. Es galt hierbei, eine Balance zwischen Auftragserfüllung und der dazu teilweise notwendigen Sprache und einem guten Verhältnis zwischen Advisor und Counterpart zu finden.
Thematisch standen in der Zelle MilEng zum einen der Bau von sogenannten Hardened-Battle-Positions (HBP), zum anderen der Aufbau von C-IED Fähigkeiten auf Corps Ebene und in den nachgeordneten Verbänden im Fokus. Mit dem HBP Konzept wollte man der Flut an kleinen Checkpoints der ANA Herr werden, die für Angriffe der Aufständischen leichte Beute waren und ein Hauptgrund für die hohen Verlustzahlen der afghanischen Sicherheitskräfte waren.
Die Zelle MilEng des Korps koordinierte dabei den Einsatz der Pioniermaschinenkräfte, die im Pionierbataillon des Korps aufgehangen sind und die Bereitstellung des Baumaterials. Im afghanischen System bewirtschaften Fachstränge wie MilEng oder San ihr eigenes Material, beschaffen und fordern dieses unabhängig vom G4 Bereich an. An dieser Stelle musste angesetzt werden, um Beschaffungs- und Anforderungsprozesse zu entwickeln und im Korps zu implementieren. Die zweite große Herausforderung war die Aus- und Weiterbildung von Pioniermaschinenbedienern. Das Korps verfügte zwar über einen sehr gut ausgestatteten Fuhrpark an Baumaschinen jeglicher Art, es mangelte jedoch an ausgebildeten Bedienern.
In Verbindung mit dem Chief MilEng konnte ein Ausbildungsprogramm entwickelt werden und komplett unter afghanischer Leitung durchgeführt werden. Auf der Ebene der abteilungsübergreifenden Stabsarbeit eröffneten sich im Thema HPB eine Menge Herausforderungen. Die Stabsabteilungen kommunizierten nur unzureichend miteinander. Planungen wurden immer wieder ohne Rücksprache mit den Fachabteilungen verändert und das Konzept als großes Ganzes war in vielen Teilen nicht verstanden oder verstanden, aber abgelehnt worden.
Hier fehlte auch ein gemeinsamer Advising Ansatz, der Stabsabteilungs-, Korps- und auch Institutionsübergreifend versucht das Konzept zu implementieren.
Ein erfolgreicher institutionsübergreifender Ansatz gelang im Aufbau von C-IED Fähigkeiten. Gemeinsam mit der G2 Abteilung wurde am Meldewesen und der Qualität sowohl der Brigaden, als auch der anderen Sicherheitsinstitutionen gearbeitet. Insbesondere die Nutzung von standardisierten Meldeformaten und Meldungen war ein erster wichtiger Schritt zur Verbessrung der C-IED Awareness. Aufbauend auf der Verbesserung des Meldewesens, wurde durch das Vorantreiben von Ausbildung die Auswertefähigkeit des Korpsstabs verbessert.
Hier arbeiteten trotz anfänglicher Vorbehalte die Zelle MilEng, in Form eines Kampfmittelabwehrfeldwebels (KpfmAbwFw) gewinnbringend mit der Analyseabteilung der G2 Abteilung eng zusammen, um sowohl die taktische, aber auch die technische Auswertung sicher stellen zu können. Zuletzt gelang es, eine Videokonferenz, die alle zwei Wochen stattfinden sollte, mit Vertretern des Korps, der Brigaden, der Polizei und des Geheimdiensts ins Leben zu rufen. Diese soll in Zukunft als Lageupdate in allen Fragen C-IED dienen und den in diesem Gebiet so essentiellen Informationsaustausch fördern.
Was für westliche Verhältnisse wie eine banale Selbstverständlichkeit klingt, ist in der afghanischen Kultur eine große Herausforderung, da ein Informationsvorsprung jeglicher Art als Machtvorteil angesehen wird. Als nächster Schritt, sollen auf Grundlage der Aus-und Bewertung der Ereignisse Folgerungen für das Handeln eigener Kräfte in Operationen und Ausbildung gezogen und die Auswertefähigkeiten auf technischer Seite vorangetrieben werden. Dieser Schritt konnte in meinem Kontingent nicht mehr realisiert werden,
Das zweite große Arbeitsfeld war der Bereich der afghanischen Infrastruktur. Der Großteil des Camp Pamirs und zahlreiche andere Liegenschaften des Korps waren alte US-Liegenschaften. Diese wurden vor einigen Jahren an die ANA übergeben und wurden seither häufig nicht oder nur sehr eingeschränkt gewartet. Auch hier ging es nach einer relativ ernüchternden Lagefeststellung darum, Prozesse zu entwickeln und bei den afghanischen Streitkräftenzu implementieren.
Diese sollten dem Infrastrukturoffizier des Korps die Möglichkeit geben, langfristig Instandsetzungen, Neubau und Wartung der Liegenschaften des Korps planen zu können, um so zeitgerecht die nötigen Finanzmittel zu beantragen und das entsprechende Personal rechtzeitig zu den verschiedenen Liegenschaften zu schicken. Alleine der Transport des Personals bedurfte regelmäßig einer Abstimmung mit anderen Stabsabteilungen, da aufgrund der Sicherheitslage eine Fahrt der Techniker zu gefährlich gewesen wäre. Diese mussten stets mit Force Protection Käften verlegt werden.
Parallel zu den strukturellen Herausforderungen war auch in der Infrastrukturabteilung des Korps der Bedarf an Ausbildung sehr groß. Da das 217th Korps vom Soll her bereits unterbesetzt war und im Vergleich zu den anderen Korps nicht annähernd genug Handwerker hatte, um alle Liegenschaften gleichzeitig ausreichend betreuen zu können, wurde versucht, Doppelbefähigungen aufzubauen. Eine Überlegung die bei den afghanischen Counterparts auf geringe Annahme und Verständnis traf und folglich wieder verworfen wurde.
Was sich in der gesamten Advising-Arbeit durchgehend als Problem dargestellt hat, war das mangelhafte Wissensmanagement. Es gibt seit Jahren das sogenannte ANET, ein Informationsaustauschforum, das von allen Advisern, die in der RS Mission tätig waren und sind, genutzt werden kann. Dort können Berichte über größere Projekte bis hin zu einzelnen Beratungsterminen thematisch niedergeschrieben und aufbereitet werden. Vor allem in einer so langwierigen und langfristig angelegten Arbeit wie Advising ist nach meiner Bewertung Kontinuität und die Speicherung von Wissen und Projektergebnissen unabdingbar.
Leider erhält man häufig lediglich die Übergabe seines Vorgängers was dazu führt, dass unter Umständen Erfolge und Ergebnisse von zurück liegenden Kontingenten verloren gehen. Hier besteht nach meiner Bewertung noch großer Nachholbedarf. Die NATO bietet im Rahmen der Einsatzvorausbildung einen Lehrgang im Joint Forces Training Centre in Bydgoszcz an, in dem unter anderem auch in den Gebrauch des ANETs eingewiesen sowie auf aktuelle Advising Konzepte und Schwerpunkte hingewiesen wird. Leider ist dieses Angebot häufig nicht nutzbar, da der Beginn der Kontingente und die Lehrgangszeiträume nicht miteinander harmonisiert sind. Eine Teilnahme an diesem Lehrgang sollte für alle assignierten Advisor für RS genau wie die ELUSA und ELSA Pflichtbestandteil der Einsatzvorbereitung sein.
Insgesamt war der Einsatz eine interessante und für mich persönlich gewinnbringende Erfahrung. Ich konnte auf meinem Dienstposten im Schwerpunkt des Resolute Support Einsatzes arbeiten: Die Aus- und Weiterbildung der afghanischen Armee.
Bezüglich meiner persönlichen Qualifikation hatte ich zunächst Bedenken, da man immerhin auf Korps Ebene berät, während sich meine Erfahrung primär auf Kompanieebene beschränkt hat. Dies erwies sich jedoch schnell als unbegründet, da die Offizierausbildung an der OSH und AusbZPi das nötige Handwerkzeug bietet, um auch in einem solchen Auftrag bestehen zu können. Meinen afghanischen Kameraden wünsche ich viel Erfolg und Soldatenglück beim weiteren Wiederaufbau ihres Landes.
Text und Bilder:
Hptm K.